BGH: Anwaltsregress bei Deckungszusage

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Einleitung

Der Bundesgerichtshof hat sich mit seiner Entscheidung vom 16. September 2021 (Az.: IX ZR 165/19) mit der Frage des Anwaltsregresses bei bestehender Deckungszusage des Rechtsschutzversicherers beschäftigt – und diesen bejaht.

Das Urteil hat in der Anwalts- und Rechtsschutzversicherungsbranche für Aufsehen gesorgt: Versicherer kündigen vielfach Regressforderungen an. Kanzleien sind verunsichert, ob und wie sie ihr Aufklärungsverhalten gegenüber ihren Mandanten anpassen sollten.

Die Entscheidung hat zweifelsohne Auswirkung auf die Praxis. Gleichwohl scheint sie vielerseits auch überinterpretiert zu werden.

 

Zum Sachverhalt

Geklagte hatte eine Rechtsschutzversicherung, bei der mehrere Kläger einer Jenaer Kanzlei versichert waren, aus übergegangenem Recht (§ 86 VVG). Die Versicherungsnehmer hatten Finanzdienstleister gerichtlich in Anspruch genommen, die nun klagende Rechtsschutzversicherung ihre Deckungszusage erteilt.

Die beklagte Kanzlei hatte vergeblich versucht, die Ansprüche der Mandanten über eine Anmeldung zur Gütestelle zu hemmen. Die Anmeldungen gingen deshalb fehl (mit der Folge, dass eine Verjährungshemmung nach § 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB ausblieb), weil die Beklagte diese nicht hinreichend konkret individualisierte.

Die Besonderheit: Diese Individualisierungsanforderung wurde erstmals 2015 durch den BGH gestellt (III ZR 198/14). Zu diesem Zeitpunkt waren die streitgegenständlichen Verfahren bereits rechtshängig. Die Klagen wurden wegen eingetretener Verjährung instanzweise abgewiesen. Teilweise wurden Rechtsmittel eingelegt, die ohne Erfolg blieben. Auch hierfür waren vorher Deckungszusagen eingeholt worden.

 

Zusammengefasst: Im Zeitpunkt der Erhebung der Klage(n) konnte diesen noch Aussicht auf Erfolg attestiert werden. Während der Verfahrensdauer veränderte sich die Erfolgsprognose dergestalt, dass Klagen (und Rechtsmittel) nun als aussichtslos einzustufen gewesen wären.

Die Deckungszusage für die Klageerhebung und dennoch erfolgte Rechtsmitteleinlegung wurde seitens der nun klagenden Versicherung erteilt.

 

 

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofes

Der Bundesgerichtshof ist der Klägerin in den hier (rechtsschutzversicherungsrechtlich) relevanten Punkten gefolgt.

Im Wesentlichen hat der Bundesgerichtshof ausgeführt:

  • Die Rechtsschutzversicherung ist eine Schadensversicherung auf die § 86 VVG Anwendung findet (zustimmend BGH III ZR 198/14).
  • Dem Übergang des Regressanspruches des Mandanten auf den Versicherer nach § 86 Abs. 1 VVG steht dessen Deckungsanspruch gegen den Versicherer nicht entgegen: „Ein Schädiger solle nicht deswegen entlastet werden, weil ein Versicherer den Schaden deckt.“
  • Der Anspruch des Versicherers ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil er selber die Deckung für das aussichtslose Verfahren erteilt Das Ablehnungsrecht des Versicherers ist nicht in eine Ablehnungspflicht umzudeuten. Die Deckungszusage entfaltet keine Schutzwirkung gegenüber dem Rechtsanwalt. Auch Treu und Glauben verpflichtet den Versicherer nicht, seine Prüfberechtigung als Art Haftungsschutz gegenüber dem Anwalt ausüben zu müssen.
  • Der Rechtsanwalt ist verpflichtet, seinen Mandanten über die konkreten Erfolgsaussichten einer Klageerhebung zu belehren. Hierzu können auch individuelle Umstände wie die Rechtsprechung des örtlich und sachlichen Spruchkörpers gehören. Die vollkommene Aussichtslosigkeit einer Klage muss klar herausgestellt und der Mandant ggf. von einer Rechtsverfolgung abgebracht
  • Die Beratungspflicht endet nicht mit der Einleitung des Verfahrens. Über eine veränderte rechtliche oder tatsächliche Ausgangslage muss der Anwalt den Mandanten ebenso aufklären wie vor der Klageerhebung. Von der Einlegung von Rechtsmitteln muss im Zweifel abgesehen bzw. eingelegte Rechtsmittel müssen kostenmindernd zurückgenommen werden.
  • Die Aufklärungs- und Beratungspflicht unterscheidet sich nicht danach, ob ein Mandant rechtsschutzversichert ist bzw. einen Deckungsanspruch hat, oder nicht. Denn ob der Mandant seinen Deckungsanspruch geltend machen möchte, liegt in seiner alleinigen Entscheidungshoheit. Um diese Entscheidung treffen zu können, muss er umfangreich aufgeklärt sein.
  • Sofern dem Anwalt eine Aufklärungsobliegenheitsverletzung anzulasten ist, muss der Kläger (Versicherer) nach 287 ZPO beweisen, dass diese für den eingetretenen Schaden kausal ist. Bei Vorliegen nur einer einzig vernünftigen Alternative wird das aufklärungsgerechte Alternativverhalten im Rahmen des (durch den Anwalt zu erschütternden) Anscheinsbeweises vermutet. Der Anscheinsbeweis kommt allerdings dann nicht zum Tragen, wenn der Mandant rechtsschutzversichert ist und wenigstens geringe Erfolgsaussichten vorliegen, da Mandanten mit geringem/keinem Kostenrisiko auch bereit sein können, kleinste Erfolgsaussichten nutzen zu wollen. Ist das Vorgehen allerdings aussichtslos, wird der Anscheinsbeweis zu Lasten des Anwaltes angewandt.

 

Anmerkungen

Die Entscheidung hat weitreichende Auswirkungen auf die Praxis!

Dass der erteilten Deckungszusage im Rahmen des Regressprozesses nicht einmal dann aus Treu und Glaube heraus Bedeutung zukommen soll, wenn die Deckung für aussichtslose Prozesse sehenden Auges und ohne Weisungsgebung erteilt wird, dürfte den Arbeitsalltag vieler Kanzleien beeinflussen. Und dies nicht, weil diese Kanzleien – wie der Bundesgerichtshof andeuten lässt – rechtsschutzversicherte Verfahren ungeprüft in die Klage entlassen. Sondern, weil die Praxis zeigt, dass die Versicherer auch kleinere Aufsichtspflichtsverletzungen deutlich eher als Anlass zur Regressklage nehmen, als nicht versicherte Mandanten. Es besteht die konkrete Gefahr, dass das rechtsschutzversicherte Mandat zu einem überdurchschnittlich hohem Regressrisiko für den Anwalt verkommt. Diese Prognose gilt selbstredend nicht für die gesamte versicherungsrechtliche Branche. Es kristallisieren sich aber bereits erste Versicherer heraus, die geradezu überakribisch nach „Fehlern“ zu suchen scheinen.

Mit dieser Situation müssen die Kanzleien nun umgehen. Ihnen sei dringend geraten, ihre Aufklärungsworkflows an der durchaus strengen Anforderungen dieses und weiterer Urteile zu orientieren und laufende Mandate ggf. nachzubelehren.

 

Auch im Übrigen wird die Entscheidung des Bundesgerichtshofes an vielen Stellen kritisiert. So wendet der BGH § 86 VVG an, ohne sich mit der vielfach diskutierten Frage auseinanderzusetzen, ob der Anwalt überhaupt „Dritter“ im Sinne von § 86 VVG sein kann. Schließlich versichert die RSV den Versicherungsnehmer nicht gegen einen pflichtwidrig arbeitenden Prozessbevollmächtigten, sondern gegen den Anspruchsgegner.

Als für die Anwaltschaft durchaus positiv einzuordnen ist sicherlich die Nichtanwendbarkeit des Anschensbeweises des aufklärungsgerechten Verhaltens bei rechtsschutzversicherten Mandanten und wenigstens „geringen“ Erfolgsaussichten. Leider lassen die Entscheidungsgründe die Praxis aber im Unklaren darüber, wann nun von Aussichtslosigkeit auszugehen ist und wann wenigstens geringe Erfolgsaussichten anzunehmen sein dürfen.

Auch hier sei der Anwaltschaft vorsorglich angeraten, die Zustimmung der Mandanten für kostenauslösende Tätigkeiten angesichts geringer Erfolgsaussichten einzuholen, um den Regressanspruch trotz ggf. feststehender Pflichtverletzung an der Kausalität scheitern zu lassen.

Es bleibt zu konstatieren, dass die gestellte Hürde an die fortlaufende Aufklärung und die Unbedeutsamkeit der Deckungszusage einer Versicherung mit Blick auf mögliche Regressforderungen durch die Anwaltschaft ernst genommen und interne Abläufe ggf. optimiert werden sollten. Insbesondere mit Blick auf den nicht anwendbaren Anscheinsbeweis sollte die Entscheidung aber nicht zu düster verstanden werden.

 

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