Fortsetzung: Mutwilligkeit und Sachverständigenkosten

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Eine Vertiefung des Blogeintrages vom 31. März 2022 („Mutwillige Rechtsverfolgung bei Sachverständigenkosten“)

Nach unserem Ende März 2022 erschienenen Beitrag, der sich mit den Entscheidungen des OLG Hamm und LG Dortmund auseinandergesetzt hatte, ließ sich durch unsere Partnerkanzleien und uns insbesondere (aber nicht nur) in Dieselfällen beobachten, dass nach oder wegen dieser beiden Urteile immer mehr Rechtsschutzversicherer die Kostenübernahme für Sachverständigengutachten trotz vorher erteilter Deckungszusage mit der Begründung ablehnen, das Kostenübernahmebegehren sei „mutwillig“. Meistversuchen die Rechtsschutzversicherer sich zu diesem Zweck schon im Rahmen der Deckungszusage eine Einzelfallprüfung der Kosten eines möglichen Sachverständigengutachtens vorzubehalten.

Vor diesem Hintergrund wollen wir die Voraussetzungen des Mutwilligkeitseinwandes nochmals beleuchten:

 

1. Der Einwand der Mutwilligkeit

„Mutwilligkeit“ ist gegeben, wenn die voraussichtlich durch die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen entstehenden Kosten bei Berücksichtigung der berechtigten Belange des Versicherungsnehmers zum erstrebten Erfolg in einem groben Missverhältnis stehen (vgl.  Schmitt, in: Harbauer, Rechtsschutzversicherung: ARB, 9. Aufl. 2018, ARB 2010, § 3 a, Rn. 23.).

Dabei kommt es – wie immer – maßgeblich auf die Sichtweise eines objektiven durchschnittlichen Versicherungsnehmers ohne juristische Vorkenntnisse an.

2. Vorbehaltlose Deckungszusage?

Ganz maßgeblich kann die Auseinandersetzung mit der Versicherung bereits mit der Beantwortung der Frage entschieden werden, ob eben jener durchschnittliche Versicherungsnehmer durch das jeweilige Schreiben der Rechtsschutzversicherung („Deckungszusage“) berechtigterweise darauf vertrauen durfte, unbedingten Deckungsschutz gewährt bekommen zu haben. „Unbedingt“ bedeutet hierbei „umfassender“ Deckungsschutz, d. h. folglich auch die Deckungszusage in Hinsicht auf das zur Unterstützung der Durchsetzung seiner Ansprüche erforderliche Sachverständigengutachten zur Beweisführung.

Denn der Einwand der Mutwilligkeit gibt der Rechtsschutzversicherung zwar das Recht, unter den genannten Voraussetzungen eine Deckung von vornherein ablehnen zu können. Dieses (das Recht) darf aber in Anlehnung der Regelung in § 114 ZPO nicht dahingehend missverstanden werden, dass ein bereits gewährter Deckungsschutz im Nachhinein einseitig ganz oder teilweise entzogen werden könnte (vgl. AG Stuttgart, Urteil vom 16.01.2020 - 1 C 3954/19).  Ein solches Verhalten ist stets unzulässig.

3. Einwand vorbehalten?

Sofern sich der Versicherer den späteren Mutwilligkeitseinwand (nach Ansicht des OLG Hamm [I-20 W 9/21]) in zulässiger Weise vorbehalten hat, müsste in dem Begehren des Versicherungsnehmers, die Kosten des Sachverständigengutachtens durch den Versicherer abzusichern auch tatsächlich ein mutwilliges Verhalten liegen.

Das ist häufig nicht der Fall, es gilt:

Die Frage des Vorliegens der Mutwilligkeit ist eine Wertungsfrage, deren Annahme nicht allein auf den Vergleich des zugrunde liegenden Streitwerts als Klageziel und den Kosten des Sachverständigengutachtens gestützt werden darf. Vielmehr benötigt es einer gesonderten Begründung (vgl. AG Stuttgart, Urteil vom 23. Januar 2003, 13 C 4703/02). Ein grobes Missverhältnis kann vor diesem Hintergrund nicht schlechthin aufgrund der hohen Kosten angenommen werden (vgl. Harbauer/Schmitt ARB 2010 § 3a Rn. 23-27).

Schon an diesem Punkt „scheitern“ viele Versicherer. Die durch uns geprüften Ablehnungsschreiben berufen sich in der Regel ausschließlich darauf, dass der angeforderte Vorschuss die Klageforderung selbst um ein „Vielfaches“ übersteigt. Weitere Ausführungen finden sich an diesen Stellen nicht.

Diese Schreiben genügen den aufgezeigten (herrschenden) Anforderungen aber deshalb nicht, weil ein (überwiegendes) Abstellen allein auf den schlichten Vergleich des Nutzens und der Kosten die zu berücksichtigenden berechtigten Belange des Versicherungsnehmers außer Acht lässt. Denn häufig kann erst durch das Sachverständigengutachten in fachlich und technisch kompliziert gelagerten Fällen Beweis geführt werden. Damit ist das Sachverständigengutachten schlechthin notwendig zur wirksamen Durchsetzung begehrter Ansprüche und damit zur Erreichung des eigentlichen Rechtsschutzziels.

Mit einer solchen Ablehnungspraxis der Rechtsschutzversicherungen ist die effektive Geltendmachung rechtlicher Ansprüche in – wie so oft – für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer nicht einfach zu beweisenden Konstellationen, von Anfang an unmöglich. Dass dies nicht dem Sinn und Zweck einer Rechtsschutzversicherung entsprechen kann, liegt auf der Hand, besteht dieser doch gerade darin, dem Versicherungsnehmer die Wahrnehmung seiner Rechte umfassend und ohne Kostenüberlegungen zu ermöglichen. Schließlich erkauft sich der Versicherungsnehmer diesen Anspruch und wälzt die Rechtskostenrisiken berechtigt durch Beitragszahlungen auf die Rechtsschutzversicherung ab. Ebenso wenig kann davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber bei der Schaffung des Mutwilligkeitseinwandes Konstellationen wie die hiesige vor Augen hatte. Denn der Mutwilligkeitseinwand zielt auf schlechterdings unverständliche (Rechtsschutz-)begehren ab, die entweder dem Grunde nach neben den mit ihnen verbundenen Kosten kaum bis keinen weitergehenden Nutzen bringen oder verglichen mit existenten Alternativen die kostenintensivste und gleichzeitig nicht geeignetste Variante darstellen. Vorliegend ist die Einholung eines Sachverständigengutachtens in der Regel die einzige Möglichkeit, das – dem Grunde nach unbestreitbar in seiner Existenz berechtigte – Rechtsschutzbegehren des Versicherungsnehmers erfolgreich zu erreichen.

Die hohen Grenzen der Mutwilligkeit, nach denen nur die Finanzierung wirtschaftlich in hohem Maße unvernünftiger oder sinnloser rechtlicher Schritte ausgeschlossen werden dürfen, werden damit nicht erreicht.

4. Handlungsmöglichkeiten

Wird die Kostenübernahme für Sachverständigengutachten allein aus den aufgezeigten Gründen abgelehnt und hat ein Vorgehen in der Hauptsache daher gute Erfolgsaussichten, lässt sich bei rechtzeitigem Handeln schneller Rechtsschutz durch einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung, gerichtet auf den Ausspruch der Verpflichtung zur Zahlung der anfallenden Kosten, erlangen. Hierbei sollte darauf geachtet werden, dass nach der Deckungsablehnung nicht unnötig viel Zeit verstreicht. Auch scheint nicht ausgeschlossen, dass mögliche außergerichtliche Rechtsbehelfe (Stichentscheid oder Schiedsgutachten) dem einstweiligen Rechtsschutz (Stichwort: Eilbedürftigkeit) entgegenstehen.