LG Krefeld: Zur Bindungswirkung eines Stichentscheides

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1. Einleitung

In der Praxis entpuppt sich die verlockende Option, auf Kosten des Versicherers eine bindende Stellungnahme abzugeben und so ohne Deckungsklage zur begehrten Rechtsschutzzusage zu kommen, oft als Märchen, weil die Versicherer die Anforderungen an Stichentscheid entweder viel zu hoch ansetzen oder aber völlig verkennen. In einem Beitrag aus April 2022 haben wir bereits die formalen und materiellen Anforderungen an einen Stichentscheid dargestellt. Das Urteil des LG Krefeld vom 23. März 2022, Az.: 2 O 221/21, greift diese Voraussetzungen wunderbar auf und beschäftigt sich überdies mit dem für die Prüfung der Erfolgsaussichten maßgeblichen Zeitpunkt. 

2. Zum Sachverhalt

Der Kläger fragte (vor Entscheidung des BGH zum „Thermofenster“) Deckungsschutz für eine Klage im „Diesel-Abgasskandal“ an, wobei er seine Ansprüche gegen den Hersteller zunächst auf außerhalb der NEFZ-Messungen deutlich erhöhte Schadstoffwerte stützte. Der Versicherer verneinte die hinreichenden Erfolgsaussichten mangels objektiver Anhaltspunkte für eine unzulässige Abschalteinrichtung. In dem daraufhin angefertigten Stichentscheid verwies die Klägervertreterin auf gerichtliche Entscheidungen, nach denen es sich bei einem Thermofenster, welches im klägerischen Fahrzeug verbaut sei, um eine unzulässige Abschalteinrichtung handele. Der Versicherer blieb unter Versagung der Bindungswirkung des Stichentscheids bei einer Deckungsablehnung. Das LG Krefeld gab der durch die Klägerin (nach Entscheidung des BGH zum Thermofenster) erhobenen Deckungsklage unter Feststellung der Bindungswirkung des Stichentscheids statt. 

3. Voraussetzungen der Bindungswirkung  

Das LG ging zunächst auf die formelle Wirksamkeit des Stichentscheids ein und stellte fest, dass die Klägervertreterin auch in der Deckungsanfrage noch nicht erwähnte Gesichtspunkte – hier: Ausführungen zum Thermofenster – berücksichtigen durfte. Denn damit sei sie lediglich dem Einwand des Versicherers, es bestünden keinerlei Anhaltspunkte für das Vorhandensein einer unzulässigen Abschaltvorrichtung, entgegengetreten. Ein Stichentscheid müsse (nur) so ausreichend begründet sein, dass er hinreichend erkennen lasse, in welchen Punkten tatsächlicher oder rechtlicher Art die Meinung des Versicherers nach Ansicht des Rechtsanwalts unrichtig sei.  

Hier wird deutlich, dass die formellen Anforderungen an einen Stichentscheid eher niedrig sind: Alles, was über einen bloßen Verweis auf die Abwegigkeit der vom Versicherer geäußerten Bedenken hinausgeht, kann formal als Stichentscheid betrachtet werden. 

Sodann beschäftigte sich das Gericht mit den materiellen Anforderungen und damit mit der Frage, ob der Stichentscheid offenbar von der Sach- und Rechtslage abwich. Hierbei ging das Gericht nun auf den maßgeblichen Zeitpunkt der Bewilligungsreife ein. Die Bindungswirkung des Stichentscheids könne nicht dadurch entfallen, dass der BGH zwischenzeitlich zulasten der Käufer eines mit dem Thermofenster ausgestatteten Fahrzeugs entschieden habe. Denn zum Zeitpunkt der Ablehnung durch den Versicherer war die Auffassung, nach der das Thermofenster eine unzulässige Abschalteinrichtung sei und eine sittenwidrige vorsätzliche Schädigung nach § 826 BGB indiziere, mangels entgegenstehender höchstrichterlicher Rechtsprechung vertretbar. Dass der BGH nunmehr entscheiden habe, dass der Einbau eines Thermofensters nicht zwingend zur Annahme der Sittenwidrigkeit führe, ließe die Bindungswirkung des Stichentscheids nicht mehr entfallen. 

Im Übrigen stellte das Gericht fest, dass der Stichentscheid auch dann Bindungswirkung entfalte, wenn ein Hauptsacheverfahren noch nicht eingeleitet sei. Davon ging der Versicherer aus, weil er annahm, zunächst nur Deckung für die außergerichtliche Rechtsverfolgung zu schulden. Ein solches Stufenverhältnis zwischen außergerichtlichem und gerichtlichem Vorgehen muss aber in den ARB vorgesehen sein.