Tätigkeit des Rechtsanwalts vor Eintritt des Rechtsschutzfalles

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A. Einleitung

Die Abwicklung des rechtsschutzversicherten Mandats stellt sich häufig als lästiger Nebenkriegsschauplatz dar, auf dem ein organisatorischer Drahtseilakt zwischen Pragmatismus und rechtlicher Genauigkeit vollzogen wird. So möchte man sich einerseits kooperativ zeigen, um eine schnelle Deckungszusage zu erhalten, gleichzeitig aber nicht gezwungen werden, den Hauptsacherechtsstreit doppelt zu führen. Denn die Unterstützung des Mandanten im Deckungsprozess durch einen Rechtsanwalt mündet nicht selten in einer Auseinandersetzung über rechtliche Fragestellungen, zu deren Beantwortung ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer eigentlich gar nicht verpflichtet ist.

Dabei kann eine Unterstützung im Außenverhältnis u. U. sogar kontraproduktiv sein, wenn eine anwaltliche Tätigkeit schon erfolgt, ohne dass bereits der Rechtsschutzfall eingetreten ist oder der Rechtsschutzfall erst durch die Tätigkeit des Rechtsanwalts ausgelöst wird.

 

B. Ein alter Bekannter: der Rechtsschutzfall als Kernvoraussetzung des versicherungsrechtlichen Anspruchs

Zwar erbringen Rechtsschutzversicherer laut ihren Allgemeinen Rechtsschutzbedingungen die für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen erforderlichen Leistungen.

Ohne Versicherungsfall kann sich die vom Vertragsschluss an bestehende Pflicht des Versicherers zur Gefahrtragung aber nicht zu einer konkreten Leistungspflicht verdichten. Der Rechtsschutzfall ist die aufschiebende Bedingung, die nach dem Rechtsgedanken des § 158 Abs. 1 BGB erst die Verpflichtung des Versicherers auslöst, den durch den Versicherungsfall hervorgerufenen Vermögensnachteil des Versicherungsnehmers auszugleichen.

Ein Problem kann sich in der Praxis dann stellen, wenn erst die Weigerung des Hauptsachegegners, Ansprüchen des Versicherungsnehmers Folge zu leisten, den maßgebliche Rechtsverstoß darstellt, der Rechtsanwalt den Mandanten aber schon vor der Zurückweisung unterstützt, etwa indem er in dessen Namen Gestaltungsrechte ausübt. An dieser Stelle ist auf die Entscheidungen des BGH Bezug zu nehmen, nach denen bei Ausübung eines wegen fehlerhafter Belehrung bestehenden „ewigen Widerrufsrechts“ der Rechtsverstoß nicht schon in der Belehrung selbst, sondern in der Ablehnung des Anspruchsgegners zu sehen ist. Es liegt dann der Einwand nahe, dass Gebühren angefallen sind, ohne dass sich die Eintrittspflicht des Versicherers bereits konkret verdichtet hätte.

 

C. Eine alte juristische Regel: Kein Grundsatz ohne Ausnahme

Eine Argumentation kann nun sein, dass mit dem Eintritt des Rechtsschutzfalls in Form der Verweigerungshaltung des Anspruchsgegners fest zu rechnen war. Es dürfte schon im Interesse des Versicherers liegen, dass ein mit Sicherheit drohender Rechtsverstoß einem bereits eingetretenen gleichsteht. Andernfalls hätten es sowohl Versicherungsnehmer als auch sein Gegner selbst noch in der Hand, im Hinblick auf die – so gut wie sichere und damit nicht mehr versicherbare – künftige Auseinandersetzung einen Versicherungsvertrag abzuschließen

Bei der Prüfung der Frage, ob ein drohender Rechtsverstoß einem endgültigen gleichgestellt werden kann, kommt es auf eine Gesamtwürdigung aller Umstände an. Dies kann insbesondere der Fall sein, wenn der Schuldner den Anspruch erkennbar und nachweisbar ernstlich, wenn auch gutgläubig, bestreitet.

Insgesamt scheint es angebracht, zu prüfen, ob der Versicherungsnehmer selbst in einem bestimmten Tatsachenkern einen bereits eingetretenen Rechtsverstoß sieht oder nicht.

Darüber hinaus bleibt der Blick in den konkreten Versicherungsvertrag und das dazugehörige Bedingungswerk. Nach den Bedingungen einzelner Versicherer wird im Beratungs- und Vorsorgebereich teilweise auf das Erfordernis eines Versicherungsfalls im herkömmlichen Sinn verzichtet und nur auf den Beratungsbedarf abgestellt. Zudem sehen einzelne Versicherer Regelungen in ihren ARB vor, nach denen sie bei einer mehrjährigen Dauer des Versicherungsvertrags zwar nicht auf das Vorliegen eines Versicherungsfalls aber auf den Einwand der Vorvertraglichkeit verzichten. So kann im Einzelfall der Vortrag des Versicherungsnehmers dahingehend lauten, dass ein bereits vor Versicherungsschutz liegender Rechtsverstoß vorgeworfen wird, ohne dass es eines weiteren, nach Tätigkeit des Rechtsanwalts liegenden Verstoßes bedürfte.